Zwischen Hoffnung und Angst: Weihnachten 2007

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Zwischen Hoffnung und Angst: Weihnachten 2007
Zwischen Hoffnung und Angst: Weihnachten 2007

Zwischen Hoffnung und Angst: Weihnachten 2007

 

 

Ein Brief, nicht nur zu Weihnachten.
Von Arthur Geiger.

Sehr verehrte Damen und Herren,
liebe Besucherinnen und Besucher,

in einem weitgehend von staatlicher und kirchlicher Unterdrückung befreiten Land, ausgestattet mit einem Sozialsystem, das zumindest vor Hunger, Obdachlosigkeit und Krankheit schützt, sollte Angst eigentlich keine dominante Rolle spielen. Und doch haben die Deutschen so große Angst vor der Zukunft wie niemals zuvor.

Der sogenannte „Angstindex“ befindet sich auf historisch hohem Stand. Die Fundamente des Vertrauens in die staatliche Ordnung unseres Landes, ja sogar der westlichen Welt scheinen zu wanken. Enorme Verschiebungen des wirtschaftlichen Wachstums vom Westen weg in sogenannte Schwellenländer wie Indien, China und Russland führen uns vor Augen, daß der anscheinend ewige Wohlstand Westeuropas einer im Rückblick unwahrscheinlich anmutenden historischen Konstellation entsprang. Nicht zuletzt dank des Wohlwollens der westlichen Siegermacht Amerika wurde unserem Land nach den Verheerungen des zweiten Weltkrieges eine beispiellose Blüte zuteil: Das deutsche Wirtschaftswunder wurde Auftakt und Motor für das aufstrebende Westeuropa.

Für die Identität der Deutschen steht bis heute der schwäbische Leitsatz „Schaffe, schaffe, Häusle bauen“ weit eindeutiger als jedes religiöse Gleichnis. Doch was geschieht, wenn künftig vormals als rückständig belächelte Volkswirtschaften sich anschicken, uns in absehbarer Zeit das Zepter aus der Hand zu nehmen? Die alternde „Diva Deutschland“ wird sich nun erstmals interessant machen müssen, denn die wirtschaftlichen und sozialen Selbstverständlichkeiten der letzten fünfzig Jahre gehen endgültig dem Ende zu. An deren Stelle tritt die Notwendigkeit großer Anstrengungen, um sich auch in Zukunft in einem globalisierten Umfeld behaupten zu können.

Doch damit nicht genug. Die Unlust der Deutschen auf das Kinderkriegen wirft schon heute dunkle Schatten. Unser Land ist auf dem besten Weg zu einem vergreisenden Staat.
Das Durchschnittsalter beträgt derzeit 42 Jahre, in fünfzehn Jahren wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit bei etwa 48 Jahren liegen (Indien zum Vergleich: 27 Jahre). Die Erhöhung der Geburtenzahl sowie das Anwerben und die Integration dringend benötigter und geeigneter Einwanderer erfordern große Anstrengungen. Die Entstehung von isolierten Inselgesellschaften („Staat im Staate“) mit eigenen Vorstellungen von Demokratie und Menschenrechten zu vermeiden ist eine Herkulesaufgabe.

Der im Jahre 1987 verstorbene Kardinal Joseph Höffner erkannte, dass das Gelingen des menschlichen Lebens, dessen Freiheit und Würde ganz entscheidend abhängig ist von der Ordnung der Wirtschaft, der Gesellschaft, des Staates und der internationalen Beziehungen. Demzufolge bedeutet Arbeitslosigkeit nicht nur Einkommensverlust, sondern auch die Gefährdung des Selbstwertgefühles und der Chance, sich an der Schöpfung zu beteiligen.
Wir stehen vor großen Herausforderungen, deren Ausgang ungewiss ist. Fest steht, dass persönliches Anspruchsdenken und staatliche Regulierungswut, Intoleranz und Isolation die falschen Mittel sind um Zeiten großer Umbrüche erfolgreich meistern zu können.

Viel zu verteidigen: Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland.Sehr geehrte Damen und Herren, trotz aller Veränderungen die uns abverlangt werden, haben wir viel zu verteidigen und sollten uns dessen bewusst sein. Gehen Sie nun mit mir auf eine kurze Reise durch das Jahr 2007 und erfahren Sie mehr über eine Demokratie ohne Fürsorge, den Folgen einer Parallelgesellschaft und dem Aufruf zu religiöser Intoleranz.


Demokratie ohne Fürsorge:
Eine Taxifahrt in Manila

Jesus Calma ist einer von vielen Tausend Taxifahrern, die im täglichen Verkehrschaos der etwa 15 Millionen Einwohner zählenden philippinischen Hauptstadtregion Manila gegen die drohende Verarmung kämpfen. Jesus wirkt müde, sehr müde sogar. Doch in seinen Augen liegt eine unbestimmbare Kraft, sein Gesichtsausdruck strahlt trotz aller Härte seines Lebens Zuversicht und Hoffnung aus. Immer wieder streift sein Blick mit einem Anflug von Demut das auf der Mittelkonsole befestigte Marienbild. Ich frage Jesus nach seinem Leben. Vierundzwanzig Stunden mal sechs Tage lang ist seine Arbeitswoche, nur unterbrochen von kurzen nächtlichen Ruhepausen mit unruhigem Schlaf am lauten Straßenrand. Was am Ende des Tages für ihn und seine Familie übrigbleibt ist ungewiss. Doch meist sind es nach Abzug der Kosten für Fahrzeugmiete und Benzin umgerechnet sechs bis elf Euro, mehr als die meisten seiner Landsleute verdienen und doch viel zu wenig für ein würdevolles Leben.

Den Sonntag als einzig freien Tag der Woche verbringt der tiefgläubige Katholik im Kreise seiner Familie. Im bescheidenen Häuschen erwarten seine Frau und vier Kinder den Ernährer, Ehemann und Vater. Familie Calma gehört zu den über 80% Katholiken auf den Philippinen, dem einzigen, durch eine dreihundertjährige spanische Besatzungszeit christlich geprägten asiatischen Land.

Nicht nur der sonntägliche Besuch der heiligen Messe ist fester Bestandteil ihres Lebens, sondern auch die für Europäer fast schon grotesk wirkende, oft wortgetreue Anwendung katholischer Glaubensgrundsätze. Bereitwillig erzählt mir der Einheimische: Über seine Hoffnung, den Kindern die bereits nach der Grundschule kostenpflichtige Schulbildung finanzieren zu können. Über seine Sorge, dass seine Frau auf Dauer nicht die Kraft dazu aufbringen könnte, die Kinder weitgehend alleine zu erziehen. Und über die eigene Gesundheit als unbedingte Voraussetzung und gleichzeitig drohendem Damoklesschwert für das Überleben der Familie in einem Land, in dem staatliche Fürsorge unbekannt ist.

Vorbeifahrend an Hochhäusern mit der Aufschrift „In God we trust“ (Wir vertrauen auf Gott) und überdimensionierten Schautafeln am Straßenrand, die von der Rückkehr des Gottessohnes künden („Jesus will come back“) beginne ich zu erahnen, was diesem Mann die bewundernswerte Kraft und Zuversicht gibt, sein schweres Leben zu meistern.

Freude am Leben.

Parallelgesellschaften: Unter dem Schleier der äußerlichen Anpassung

Yasemine Helin (*) ist fünfzehn, als ich ihr zum ersten Male begegne. Das im mittleren Kinzigtal aufgewachsene Mädchen besitzt einen türkischen Pass, ihre Sprache ist der einheimische Dialekt und ihr großer Freundeskreis eine bunte Mischung von Menschen verschiedener Nationalitäten. Familie Helin gilt nicht nur bei Lokalpolitikern als vorbildliches, gerne zitiertes Beispiel für eine gelungene Integration ausländischer Mitbürger. Yasemine ist aufgrund ihrer aufgeweckten und unvoreingenommenen Art beliebt. Mit siebzehn bewirbt sie sich um eine Ausbildungsstelle zur Einzelhandelskauffrau, die die hübsche Deutsch-Türkin auch umstandslos bekommt. Schnell findet sie großen Gefallen an ihrer Arbeit mit Menschen.
 
März 2007. Die achtzehnjährige Yasemine ist verschwunden. Ihr Ausbildungsplatz ist gekündigt, die Freunde verlassen. Umgezogen in eine deutsche Großstadt, das Aufgebot bestellt. Der nie zuvor gesehene, von ihrer Familie auserwählte Bräutigam, befindet sich auf seiner Anreise von der Türkei nach Deutschland, zu Yasemine, seiner künftigen Frau. Später werde ich erfahren, dass mehrere Hundert Gäste dem Fest der Zwangsverheiratung beiwohnen.

Feierlaune zum Straftatbestand der Nötigung und flotte Tänze zum Verstoß gegen Artikel 16 der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“: Die Ehe darf nur auf Grund der freien und vollen Willenserklärung der zukünftigen Ehegatten geschlossen werden.

Wochen vergehen, bis Yasemine sich einer Freundin anvertraut. Sie erzählt ihr, dass Sie ihren Mann nicht liebt und sehr unglücklich ist. Ihr junges, vor kurzem noch unbeschwertes und glückliches Leben steht vor einem Abgrund.

Nachwort: Im Juli 2006 erklärt das staatliche Religionsamt der Türkei eine Verheiratung wider Willen als Sünde und unislamisch.

Alleingelassen in einem freien Land.

Jenseits der Toleranz: Zwei nette Frauen und die Vernichtung Andersgläubiger

Anne König(*) und Beatrice Lambert (*) sind keine Kundinnen. Als Gesandte einer sogenannten bibeltreuen Minderheitenreligion fragen sie höflich, ob ich Zeit und Lust habe für ein kurzes Gespräch über Religion und Glauben. Etwas überrascht über diese direkte Ansprache in meinem Büro bitte ich sie darum Platz zu nehmen. Meine Neugierde ist größer als die Zeitknappheit. Ohne übersteigerten missionarischen Eifer legen die beiden Frauen ihre religiösen Standpunkte dar und nehmen meine teils kritischen, teils zustimmenden Entgegnungen mit sympathischem Wohlwollen auf. Erst als ich schließlich erkläre, dass ein gelungenes Leben ohne Religion sehr wohl möglich sei, ohne Liebe jedoch kaum, umwölkt sich der Blick von Frau König. Ihre Begleiterin jedoch zeigt unerwartetes Interesse an meinen Worten und möchte darüber sprechen. Diese unerwartete Wendung jedoch gefällt der sichtlich um Fassung bemühten Frau König nicht. Sie überreicht mir hastig eine Religionsschrift und zitiert daraus schnell einige Glaubensgrundsätze. Frau Lambert hat begriffen und schweigt betroffen. Die beiden Frauen verabschieden sich höflich, nicht ohne den Hinweis, die überlassene Schrift doch einmal zu lesen.

Nachwort: Wenig später lese ich die ersten Seiten der sich selbst als „unpolitischen, sich auf die Bibel als Autorität stützenden“ Religionsschrift. Es ist darin gleich mehrfach die Rede von der „Vernichtung Andersgläubiger“. Das Grundrecht der freien Meinungsäußerung wird verneint, letztlich die Schaffung eines Gottesstaates befürwortet. Etwas traurig lege ich das Pamphlet zum Altpapier. Schade, Frau König. Wir werden uns nochmals unterhalten müssen.

Sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam wachsam sein gegen jegliche Unterwanderung unserer freiheitlichen, sozialen und marktwirtschaftlichen Ordnung. Lassen wir es niemals zu, dass Menschen gleich dem Filipino Jesus Calma, alleine gelassen von Staat und Gesellschaft, nur durch unerbittliche Selbstausbeutung überleben. Wehren wir uns gegen die Verletzung unserer Gesetze und Missachtung der Menschenrechte wie im Beispiel der Türkin Yasemine Helin(*) geschehen. Und lassen Sie uns dafür sorgen, daß Aufrufe zur Vernichtung Andersgläubiger als das erklärte Anliegen einer Religionsgemeinschaft niemals akzeptiert werden.

Wir wünschen Ihnen und Ihren Liebsten friedvolle Weihnachtstage, die Gelegenheit einmal abzuschalten und so richtig „die Seele baumeln zu lassen“. Für Ihre Treue dankt Ihnen das gesamte Team der "kinzigtal.de". Wir freuen uns, Ihnen auch 2008 ein spannendes und stets aktuelles Nachrichtenportal bieten zu dürfen. Bleiben Sie uns gewogen und kommen Sie gut ins neue Jahr!

Schöne Feiertage!Herzlichst,
Ihre Redaktion

kinzigtal.de

Zum Autor:
Arthur Geiger (39) ist Inhaber eines IT-Fachbetriebes und schreibt u.a. regelmäßig für EDV-Fachzeitschriften.

(*) Namen geändert.

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